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Geschichte II – Kolonialzeit

Zeitstrahl zur Kolonialzeit

1492 – Ende der Reconquista („Limpieza de sangre“)/ Überfahrt Kolumbus

1494 – Vertrag von Tordesillas

1510 – Beginn des transatlantischen Sklavenhandels

1600-1602 – Schaffung der britischen (1600) und der niederländischen (1602) „Ostindien-Kompanie“

1807 – Großbritannien verbietet eigenen Sklavenhandel

1815 – Ächtung des Sklavenhandels durch Wiener Kongress

1884-1885 – Errichtung der Kolonie „Deutsch-Südwest-Afrika“ (heutige Republik Namibia) und „Togo“ (1884)/ Kongo-Konferenz in Berlin/ Errichtung der Kolonie „Deutsch-Ost-Afrika“ (1885)

1898 – Errichtung einer deutschen Kolonie in Qingdao

1899 – Errichtung der Kolonie „Deutsch-Neuguinea“

1904-1908 – Aufstände der Gruppen Khoikhoin und Herero in Deutsch-Südwest-Afrika, Ermordung von etwa 75.000 Herero (1904 bis 1906); „Maji Maji“-Aufstand auf den deutschen Baumwollplantagen in Deutsch-Ost-Afrika, Ermordung von etwa 200.000 Menschen in den Aufstandsgebieten (1905 bis 1908)

1914 – Hinrichtung von etwa 200 aufständischen Amtsträgern – darunter Rudolf Duala Manga Bell, Ludwig Mpundo Akwa, Mandola von Groß Batanga, Martin-Paul Samba – in der deutschen Kolonie Kamerun (1914).

1919 – Unterzeichnung des Friedensvertrages im Schloss zu Versailles, die deutschen Kolonien werden an die Mandatsmächte Frankreich und Großbritannien übertragen

1960 – Dekolonisation einer Vielzahl afrikanischer Staaten, „Afrikanisches Jahr“

2021 – Die deutsche Bundesregierung stuft die Gräueltaten an Herero und Nama als Völkermord ein

Vertiefungen und Ergänzungen

Das Jahr 1492 steht für die „Entdeckung“ Amerikas durch die Überfahrt von Christoph Kolumbus, die zur Eroberung des amerikanischen Kontinents durch die Spanier führte. Gleichzeitig ist es das Jahr des Endes der „Reconquista“, der „Rückeroberung“ der Jahrhunderte lang unter maurischer Vorherrschaft stehenden Gebiete des südlichen Spaniens.

Bereits Jahrzehnte zuvor hatte sich aus religiösem Antijudaismus rassistischer Antisemitismus entwickelt, der in der Vertreibung der Juden, später auch der Mauren, gipfelte. Die ethnische Homogenität wurde von der spanischen Krone als Voraussetzung für die nationalstaatliche Einheit angesehen. Im 15. Jahrhundert entstand in Spanien auch die Ideologie der „Limpieza de sangre“ – der Reinheit des Blutes. Zum Katholizismus konvertierten Juden und Mauren wurde vorgeworfen, nur zum Schein konvertiert zu sein. Anders als im Antijudaismus des Mittelalters diskriminierte das frühneuzeitliche Konzept der „Limpieza de sangre“ nicht nur nach rein religiösen Kriterien, sondern nach denen der Abstammung. Insofern gilt es heute in der Forschung als eine Vorstufe des Rassismus.

Im Jahr 1510 segelte das erste Schiff mit 50 schwarzen Sklaven von Westafrika nach Haiti. Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert wurde im Atlantik Sklavenhandel betrieben. Europäische Händler transportierten Sklaven auf Schiffen, zu Hunderten unter Deck zusammengepfercht, in die Kolonien Nord- und Südamerikas und der Karibik. Die Enge, spärliche Ernährung, Krankheiten und körperliche Gewalt setzten den Gefangenen stark zu – Schätzungen zufolge lag die Sterblichkeitsrate während der Überfahrt bei etwa 15 Prozent. Insgesamt verschleppten die Händler etwa 12 Millionen Menschen auf den amerikanischen Kontinent.

Was wird hier geehrt?

Viele Straßen in Deutschland sind nach Menschen benannt, die aktiv an der Unterdrückung und Ausbeutung anderer Länder und Menschen beteiligt waren oder die rassistische Ideologie der Kolonialzeit mitgeprägt haben.

Das Künstler*innenkollektiv peng! hat gemeinsam mit der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD) eine Aktion gestartet, bei der solche Spuren der Kolonialzeit auf einer Karte sichtbar gemacht werden.

Tear down this shit

Fiktion und Wirklichkeit der Kolonialzeit

Zivilisierte Welt: Gestützt auch auf das Gedankengut der Aufklärung, verstanden sich die Kolonialmächte als die „zivilisierte Welt“, die dem Rest der Welt dabei half, dorthin zu gelangen. Tatsächlich beruhte die koloniale Herrschaft allerdings nicht auf Demokratie und Menschenrechten, sondern im Gegenteil auf Gewaltherrschaft, Sklaverei und Ausbeutung.

Wirtschaft: In der Vorstellung der Kolonialmächte half man anderen Ländern bei der „Entwicklung“. Tatsächlich bestand das Kolonialsystem vor allem aus Ausbeutung von Bodenschätzen, natürlichen Ressourcen und Arbeitskräften. Wohlstand bedeutete das Kolonialsystem nur für die Kolonialmächte – in den ausgebeuteten Ländern vergrößerte es dagegen die Armut. Auch heute leiden die ausgebeuteten Länder unter den Folgen. Beispielsweise führt die in der Kolonialzeit umgesetzte Export-orientierte Landwirtschaft dazu, dass viele Nahrungsmittel importiert werden müssen.

Kultur: Die Kolonialmächte verstanden sich selbst als „Kulturnationen“. Mit dem Glauben an die eigene „Zivilisiertheit“ wurden andere Kulturen als minderwertig oder wild abgewertet. Die Auswirkungen: Während der Kolonialzeit wurden beispielsweise in vielen unterdrückten Ländern die Ausübung von regionalen religiösen Praxen oder das Sprechen von regionalen Sprachen verboten. Tatsächlich vernichtete die Kolonialzeit also Kultur.

Der kamerunische Musiker Blick Bassy singt auf Bassa, einer bedrohten Sprache, über die Kolonialgeschichte. Auf Spotify kann reingehört werden.

Wissenschaft: Während der Kolonialzeit beteiligten sich zahlreiche wissenschaftliche Institutionen an der Legitimierung der Herrschaftsverhältnisse. Forscher*innen versuchten mit pseudowissenschaftlichen Methoden die behauptete Ungleichwertigkeit von Menschengruppen zu belegen, beispielsweise durch das Vermessen menschlicher Schädel. Auch für die Bevölkerung innerhalb der imperialen Gesellschaften hatte diese Forschung verheerende Konsequenzen: Die Eugenik-Bewegung fußte auf denselben Scheinvorstellungen von Wissenschaft und führte zu Maßnahmen wie Zwangssterilisationen bei sozial benachteiligten Menschen, Menschen mit Behinderung oder Straffälligen.

Kunstgüter: Während der Kolonialzeit wurde massenhaft Kunst nach Europa gebracht. Die Kunst wurde geraubt oder zu lächerlich niedrigen Preisen und unter Zwang verkauft. Die Kolonialmächte lieferten sich einen regelrechten Wettstreit darum, wer die meisten Kunstwerke in die eigenen Museen brachte. Deshalb stehen auch heute noch in europäischen Museen viele geraubte Kunstwerke.

Schule für Ausbeutung und Unterdrückung in Witzenhausen

1898 wurde in Witzenhausen die „Deutsche Kolonialschule für Landwirtschaft, Handel und Gewerbe“ gegründet. An der Schule sollten junge Männer auf ihre Tätigkeit in Kolonien vorbereitet werden. Dokumente aus der Zeit zeigen, dass es bei der Schulgründung nicht nur um Ausbildung ging. Die Einrichtung sollte auch Stimmung machen für ein deutsches Kolonialreich. Ein Zitat des Gründers und ersten Direktors G.A. Fabarius verbirgt diese Absicht kaum:

„Deutsche Söhne aus den besten Kreisen unseres Volkes hineinzuführen in die überseeische Arbeit und ihr den für das binnenländische Spießbürgertum fast anrüchigen Eindruck des ‚Abenteurertums gescheiterter Existenzen‘ zu nehmen.“

G.A. Fabarius, Direktor der Kolonialschule über den Sinn der Kolonialschule in einem Aufsatz mit dem Titel „Die Deutsche Kolonialschule und ihre Aufgaben“ aus dem Jahre 1908

Auf dem Lehrplan standen vor allem Fremdsprachen, handwerkliche, technische und landwirtschaftliche Ausbildung, aber auch Fächer wie „Völkerkunde“. Texte aus der Schulzeitung „Der Deutsche Kulturpionier“ zeigen, dass an der Schule auch Unterdrückung und Ausbeutung von Menschen gerechtfertigt wurde. Ein dort veröffentlichter Text mit dem Titel „Herrenmoral und Sklavenmoral“ versucht dem System der Sklaverei einen christlichen Anschein zu geben.

Während des ersten Weltkriegs wurde der Schulbetrieb eingestellt und nach Kriegsende wieder fortgesetzt, obwohl Deutschland nach dem Versailler Vertrag überhaupt keine Kolonien mehr hatte. Während der Weimarer Republik zieht die Schule nach und nach Schüler mit nationalsozialistischer Gesinnung an. Nach der Machtergreifung der NSDAP bestimmt die nationalsozialistische Rassenlehre Ausbildung und Politik der Schule.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs knüpft das „Deutsches Institut für tropische und subtropische Landwirtschaft“, eine Nebenstelle der Universität Kassel, an die Kolonialschule an. Es dauert lange, bis das kolonialgeschichtliche Erbe kritisch aufgearbeitet wird. In Kooperation mit dem Hessischen Rundfunk haben heutige Studierende in Witzenhausen ein Multimedia-Projekt über die Geschichte ihrer Lehranstalt entwickelt:

Perspektivenwechsel: Witzenhausen und sein koloniales Erbe

2016 erschien im avant-Verlag die Graphic Novel „Raus Rein“, eine Sammlung von Comics, die sich mit der Geschichte der Kolonialschule beschäftigen.

Besonders deutlich zeigt sich der Geist, der an der Deutschen Kolonialschule wehte, anhand eines Überfalls auf eine jüdische Wandergruppe in Wendershausen im Jahr 1931:

Dutzende Menschen, die zuvor nationalsozialistische Versammlungen besuchten, griffen verabredet und gezielt eine Gruppe junger, jüdischer Wander*innen an. Die Opfer wurden mit Schlagstöcken und Latten mit Nägeln angegriffen und zum Teil so schwer verletzt, dass sie fortan arbeitsunfähig waren. Fast alle Angreifer waren Schüler der Kolonialschule Witzenhausen. In Vernehmungen der Polizei zeigte sich, dass fast alle von ihnen Mitglieder in nationalsozialistischen Organisationen waren. Vor Gericht verteidigte die Angreifer der damalige Kasseler Anwalt Roland Freisler, der nach der Machtergreifung der Nazis Karriere machte und Präsident des Volksgerichtshofs wurde. In dieser Funktion vollstreckte er in Scheinprozessen etwa 2600 Todesurteile – unter anderem gegen die Geschwister Scholl. In der Verteidigung seiner Mandanten von der Kolonialschule versuchte er dagegen die Tat als einen „Streich“, der aus dem Ruder gelaufen sei, zu verharmlosen.

Einige Jahre später, 1936, erscheint in der Schulzeitung der Deutschen Kolonialschule ein Artikel, in dem die Gewalttat von Wendershausen verherrlicht wird.

Die Skizze des Übergriffs stammt aus einer Ermittlungsakte von 1931. Den Ermittlungsbericht von damals haben wir für Sie vertont:

Im Jahr des antisemitischen Angriffs von Wendershausen besuchte auch Hartwig Golf die Kolonialschule. In den Ermittlungsakten taucht sein Name nicht auf. Golf trat 1965 der rechtsradikalen Partei NPD bei und saß als von 1969 bis 1970 als Abgeordneter der Partei im hessischen Landtag.

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